Knochen auf Knochen?! – Was du bei Hüft- und Kniearthrose tun kannst

Du leidest unter Arthrose? Dann hat dir sicher schon mal jemand gesagt, dass dein Gelenk schmerzt, weil kein Gelenkknorpel mehr vorhanden ist und „Knochen auf Knochen“ reibt. Aber ist die Erklärung wirklich so einfach? Um es vorweg zu nehmen: Nein, ist sie nicht! 

Arthrose ist wie „innere Falten“

Wenn wir altern, altern und verändern sich auch unsere Gelenke. Da können wir erstmal nicht viel machen. Oft spricht man dabei von degenerativen Veränderungen. Diese Veränderungen sind allerdings völlig normal, genauso normal, wie wir zunehmend graue Haare oder mehr Falten auf der Haut bekommen. Man könnte diese Veränderungen der Gelenke also auch als „innere Falten“ beschreiben. Und genauso wie Falten auf der Haut, sind „innere Falten“ erstmal nicht schmerzhaft.

Schaut man sich Röntgen- oder MRT-Bilder von schmerzfreien Erwachsenen an, so finden sich bei vielen Anzeichen von Veränderungen. Dazu gibt es mittlerweile viele Untersuchungen: Eine Studie von Culvenor et al. fand heraus, dass bis zu 43% der Erwachsenen über 40 Jahren im MRT Anzeichen einer Arthrose am Kniegelenk zeigen – OHNE Schmerzen oder Funktionseinschränkungen (1). Die Schwere der strukturellen Veränderung ist somit nicht gleichzusetzen mit einhergehenden Symptomen.

Natürlich kann man deswegen jetzt auch nicht sagen, dass die Veränderungen am Gelenk gar nichts mit den Symptomen zu tun haben. Sie erhöhen definitiv das Risiko, sind aber eben auch nur ein Teil der Gründe für eine schmerzhafte Krankheitsgeschichte. Und es bedeutet eben auch, dass du trotz arthrotischer Veränderungen an Hüft- oder Kniegelenk nicht zwangsläufig Schmerzen haben musst. So können dein Lebensstil, soziale Faktoren und ungünstige Gedanken oder Emotionen deine Sensibilität erhöhen und deinen Schmerz beeinflussen (2). Schmerz ist komplex und in seiner Entstehung sehr individuell. Deshalb solltest du versuchen, auch an diesen Dingen zu arbeiten (Hier ein paar Tipps dazu).

Schadet Belastung den Gelenken?

Ein Mythos, der sich beharrlich hält, ist, dass man bei Arthrose die Gelenke nicht mehr belasten sollte, damit der Knorpel sich nicht weiter abnutzt. Das Gegenteil ist der Fall – Gelenke lieben Belastung. Der Körper funktioniert nämlich nicht wie ein Auto, das irgendwann verschlissen liegen bleibt, sondern er passt sich an Belastungen an, sofern diese im richtigen Maß stattfinden. Du kennst das sicher im Hinblick auf Muskeltraining: Wenn man regelmäßiges und angepasstes Krafttraining macht, werden die Muskeln stärker und größer – sie passen sich an. Das gleiche passiert im Prinzip bei Gelenkknorpel auch: Wenn man regelmäßig und angepasst Gelenkknorpel belastet, passt sich auch das Gelenk an, und wird nach und nach belastbarer. 

Entscheidend ist, die richtige Dosierung zu finden, was – zugegeben – nicht immer einfach ist. Zu viel Belastung ist nicht gut, zu wenig aber auch nicht. Eine große Übersichtsstudie mit mehr als 100.000 Teilnehmern zeigt, dass Freizeitläufer ein deutlich reduziertes Arthroserisiko an Hüft- und Kniegelenken (3,5%) im Vergleich zu inaktiven Nichtläufern (10,23%) bzw. Wettkampfläufern (13,3%) aufweisen. Moderates Lauftraining scheint demnach eine schützende Funktion für die Gelenkgesundheit der unteren Extremität zu haben (3). Und selbst wenn eine Arthrose bereits begonnen hat, kann man durch gezieltes Training die Knorpelstruktur positiv beeinflussen (4,5). Es ist also nie zu spät, zu beginnen, denn solange wir leben, kann sich unser Gewebe anpassen. 

Warum ist das jetzt so wichtig zu wissen? Naja, wenn ich glaube, dass meine Gelenke immer weiter verschleißen, wenn ich sie belaste, dann höre ich irgendwann auf, die Dinge zu tun, die meiner Gesundheit eigentlich gut tun – Aktivitäten mit Freunden, Wandern, Laufen, Golf etc. Das sind alles Dinge, die uns helfen wieder gesünder zu werden. Das einzige, was wir tun müssen, ist die richtige Dosierung zu finden und langsam aufzubauen. 

Mehr Lebensqualität durch Training

Belastung und Bewegung stellen also keine Gefahr für die Gelenke dar. Training sorgt, wie gesehen, nicht für mehr „Falten im Gelenk“, sondern reduziert signifikant den Schmerz, verbessert die Funktionsfähigkeit der Gelenke und erhöht so insgesamt Lebensqualität (6). Ein Training bei Arthrose hilft mindestens genauso gut gegen Schmerzen wie orale Schmerzmittel, und macht dich zusätzlich fitter (7).

Eine Studie an über 10.000 Menschen mit Knie- und Hüftarthrose konnte zeigen, dass sich die Schmerzintensität nach einem 6-wöchigen Trainingsprogramm um etwa 25% reduziert (8). Außerdem haben sich sehr viele Patienten mit hochgradiger Arthrose nach diesem Trainingsprogramm dazu entschieden, ihre bereits geplante OP zu verschieben (74%!) (9).

Abnehmen ist gut, muss aber nicht

Übergewicht ist definitiv ein Risikofaktor für Arthrose. Und Abnehmen ist demnach auch hilfreich bei der Verbesserung von Schmerz und Funktion der Gelenke (10). Leider ist Abnehmen aber auch immer leichter gesagt als getan. Viele Leute versuchen bereits ihr ganzes Leben, nachhaltig Gewicht zu verlieren, und schaffen es einfach nicht. Aber jetzt die gute Nachricht: Klar wäre es super, wenn man es schafft, etwas abzunehmen – es ist aber nicht zwingend nötig, um Schmerz und Funktion der Gelenke zu verbessern:

In einer Studie von Messier et al. wurden drei Gruppen beobachtet. Eine Gruppe machte regelmäßiges Training, die zweite Gruppe eine Ernährungsumstellung und die dritte Gruppe machte beides. Nach 6 bzw. 18 Monaten wurden alle Gruppen besser in Bezug auf Schmerz und Funktion, wobei die Gruppe mit Ernährungsumstellung und Training am besten abschnitt. Aber auch die Personen aus derjenigen Gruppe, die nur trainierte wurde im Bezug auf Schmerz und Funktion signifikant besser, und zwar ohne dabei Gewicht zu verlieren (11).

Welches Training hilft am besten?

Ok, jetzt weißt du, dass Training gut für dich und deine Gelenke ist. Aber welches Training hilft am besten? Musst du dich jetzt gleich im nächsten Fitnessstudio anmelden? Kannst du machen, aber das ist definitiv nur eine Möglichkeit von vielen, wieder aktiv zu werden. Du kannst auch wandern, laufen, golfen, Fahrrad fahren, kajaken, Yoga, Pilates oder Thai Chi machen – es gibt tausend Möglichkeiten (6). Wichtig ist nur, DASS du wieder aktiv wirst! Meiner Erfahrung nach bringt es deshalb oft nur kurzfristigen Erfolg, wenn du dich zu etwas zwingst, das dir keinen Spaß macht. Viel besser, und vor allem nachhaltiger, funktioniert das Ganze, wenn du eine Aktivität findest, auf die du richtig Lust hast – und zwar langfristig. (Hier ein paar Tipps dazu)

Ein Krafttraining ist aber auf jeden Fall zu empfehlen, und wer Lust hat direkt jetzt zu starten, dem kann ich die Seite OAoptimism.com meines Kollegen Greg Lehman wärmstens empfehlen. Auch er erklärt ausführlich, wissenswertes über Arthrose und was man dagegen tun kann. Es ist zwar alles auf Englisch, aber für die Übungsvideos reichen ein paar lückenhafte Erinnerungen an dein Schulenglisch. Beginne mit einem 5-Minuten-Programm für 2-6 Wochen, und das 3-5 mal pro Woche:

Hier gibt es noch mehr 5-Minuten-Trainingsprogramme

Wenn du das 2-4 Wochen gemacht hast, und es sich ok für dich anfühlt, dann kannst du das ganze etwas steigern:

Hier gibt es noch mehr 10-Minuten-Trainingsprogramme

Aber es tut weh beim Üben

Es kann sein, dass es während oder nach den Übungen etwas weh tut. Das ist nervig, heißt aber nicht, wie du es gerade gelernt hast, dass deine Gelenke Schaden nehmen. Wenn du lange nichts gemacht hast, ist es sogar ziemlich wahrscheinlich, dass du zu Beginn etwas Schmerzen hast, aber das bedeutet eben nicht, dass du etwas kaputt machst. Und es ist auch völlig ok, wenn du während oder nach einer Aktivität etwas Schmerz verspürst, solange du es das wert und für dich erträglich findest. Findest du die richtige Dosis, wird sich dein aktuelles Schmerzlevel mit der Zeit verbessern.

Tatsächlich muss man gerade am Anfang mit der Intensität ein wenig experimentieren. Als grobe Richtlinie kann man aber sagen, dass eine Schmerzintensität von 4-5/10 ok ist, wenn diese nach 24 Stunden wieder mindestens auf das Ausgangsniveau zurückgegangen ist (0 = kein Schmerz und 10 = der schlimmste vorstellbare Schmerz). Du gehst also in den Schmerz, um gesünder zu werden. Klingt erstmal komisch, aber nach ein paar Wochen wirst du dich sehr wahrscheinlich besser fühlen. 

Aber Vorsicht! Solltest du durch das Training ungewöhnlich starke Schmerzen und/oder starke Schwellung des betroffenen Gelenks bekommen, dann solltest du das Training erstmal stoppen. Das kann zu Beginn deines Trainingsprogramms vorkommen, aber auch immer mal wieder im Verlauf. Vielleicht war dein Knie oder deine Hüfte einfach noch nicht so belastbar wie du dachtest. Vielleicht hast du schon vorher zu viel gemacht und in den Schmerz gearbeitet, oder die Steigerung im Training war einfach zu groß. Wenn das passiert, pausiere einige Zeit dein Training, um das Gelenk sich beruhigen zu lassen, und beginne dann langsam wieder mit einer niedrigeren Intensität.

Kurz und knapp

Um es auf den Punkt zu bringen: Aktivität ist gut – also sei aktiv! Tu die Dinge, die dir Spaß machen! Es ist nicht nur sicher für deine Gelenke aktiv zu sein, es ist mit das Beste, was du für dich tun kannst. Und auch wenn es mal wieder weh tut, dann nervt das natürlich, aber du kannst trotzdem die Dinge tun, die dir wichtig sind. Denn Schmerz bedeuten eben nicht, dass deine Gelenke dadurch mehr Schaden nehmen.

Referenzen

  1. Culvenor, A. G., Øiestad, B. E., Hart, H. F., Stefanik, J. J., Guermazi, A., & Crossley, K. M. (2019). Prevalence of knee osteoarthritis features on magnetic resonance imaging in asymptomatic uninjured adults: a systematic review and meta-analysis. British journal of sports medicine, 53(20), 1268–1278. https://doi.org/10.1136/bjsports-2018-099257
  2. Klinger, R., Stuhlreyer, J., Schmitz, J., Zöllner, C., Roder, C., & Krug, F. (2019). Psychologische Faktoren im Kontext perioperativer Knie- und Gelenkschmerzen: die Rolle der Behandlungserwartungen für den Schmerzverlauf [Psychological factors in the context of perioperative knee and joint pain: the role of treatment expectations in pain evolvement]. Schmerz (Berlin, Germany), 33(1), 13–21. https://doi.org/10.1007/s00482-018-0350-2
  3. Alentorn-Geli, E., Samuelsson, K., Musahl, V., Green, C. L., Bhandari, M., & Karlsson, J. (2017). The Association of Recreational and Competitive Running With Hip and Knee Osteoarthritis: A Systematic Review and Meta-analysis. The Journal of orthopaedic and sports physical therapy, 47(6), 373–390. https://doi.org/10.2519/jospt.2017.7137
  4. Koli, J., Multanen, J., Kujala, U. M., Häkkinen, A., Nieminen, M. T., Kautiainen, H., Lammentausta, E., Jämsä, T., Ahola, R., Selänne, H., Kiviranta, I., & Heinonen, A. (2015). Effects of Exercise on Patellar Cartilage in Women with Mild Knee Osteoarthritis. Medicine and science in sports and exercise, 47(9), 1767–1774. https://doi.org/10.1249/MSS.0000000000000629
  5. Roos, E. M., & Dahlberg, L. (2005). Positive effects of moderate exercise on glycosaminoglycan content in knee cartilage: a four-month, randomized, controlled trial in patients at risk of osteoarthritis. Arthritis and rheumatism, 52(11), 3507–3514. https://doi.org/10.1002/art.21415
  6. Fransen, M., McConnell, S., Harmer, A. R., Van der Esch, M., Simic, M., & Bennell, K. L. (2015). Exercise for osteoarthritis of the knee: a Cochrane systematic review. British journal of sports medicine, 49(24), 1554–1557. https://doi.org/10.1136/bjsports-2015-095424
  7. Henriksen, M., Hansen, J. B., Klokker, L., Bliddal, H., & Christensen, R. (2016). Comparable effects of exercise and analgesics for pain secondary to knee osteoarthritis: a meta-analysis of trials included in Cochrane systematic reviews. Journal of comparative effectiveness research, 5(4), 417–431. https://doi.org/10.2217/cer-2016-0007
  8. Skou, S. T., & Roos, E. M. (2017). Good Life with osteoArthritis in Denmark (GLA:D™): evidence-based education and supervised neuromuscular exercise delivered by certified physiotherapists nationwide. BMC musculoskeletal disorders, 18(1), 72. https://doi.org/10.1186/s12891-017-1439-y
  9. Skou, S., Al., E., Author AffiliationsFrom the Research Unit for Musculoskeletal Function and Physiotherapy, Katz, J., F. P. Polack and Others, L. R. Baden and Others, & G. F. Michaud and W. G. Stevenson. (2015). A randomized, controlled trial of total Knee REPLACEMENT: NEJM. Retrieved February 09, 2021, from https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/nejmoa1505467 
  10. Christensen, R., Astrup, A., & Bliddal, H. (2005). Weight loss: the treatment of choice for knee osteoarthritis? A randomized trial. Osteoarthritis and cartilage, 13(1), 20–27. https://doi.org/10.1016/j.joca.2004.10.008  
  11. Messier, S. P., Mihalko, S. L., Legault, C., Miller, G. D., Nicklas, B. J., DeVita, P., Beavers, D. P., Hunter, D. J., Lyles, M. F., Eckstein, F., Williamson, J. D., Carr, J. J., Guermazi, A., & Loeser, R. F. (2013). Effects of intensive diet and exercise on knee joint loads, inflammation, and clinical outcomes among overweight and obese adults with knee osteoarthritis: the IDEA randomized clinical trial. JAMA, 310(12), 1263–1273. https://doi.org/10.1001/jama.2013.277669